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Eine ungewöhnlich stille Chorprobe

Dieser Kammerchor lässt sich durch keine Pandemie stoppen. Denn die Chorist*innen proben wöchentlich über Zoom. Wie so eine Chorprobe abläuft, was man für die eigene Stimmbildung mitnehmen kann und wo es sich im Freien am besten singt, verraten die Dirigentin Kateřina Blížkovská, 23, und Chorist Kilian Rüß, 24.

Zoom und Schumann

Die Kamera ruckelt, dann findet Kateřina Blížkovská, 23, genannt Kat, den perfekten Winkel, der sie und ihr E-Piano in einer Berliner Wohnung zeigt. Im Hintergrund sieht man Schnappschüsse mit Freunden, einen Schrank, ein Fenster – eben ein typisches Studentenzimmer. Untypisch dagegen das, was nun folgt: Sie spielt die ersten Akkorde von Robert Schumanns Romanzen und Balladen und singt „Es war ein König in Thule“ im Sopran dazu. Nachdem die Akkorde und die Stimmlage durch das Mikro und zu den Teilnehmern gedrungen sind, setzt sie ab. Dann wiederholt sie die Takte mehrmals, jeweils für die Stimmlagen Tenor, Alt und Bass. Als sie endet herrscht Stille, wie noch so oft an diesem Abend. Kat, gutgelaunt und voller Energie, deutet es als Zustimmung: „Dann schauen wir mal, wie weit wir kommen.“ Und der heute ca. zehn-köpfige Chor beginnt zu singen, verteilt über die abendliche Stadt, verbunden durch die jeweils eigene und Kats Stimme, Zoom und gerade für eine Chorprobe ungewohnt viel Stille.

Die Teilnehmer*innen müssen ihre Mikrofone muten, erzählt der Tenor Kilian Rüß, 24, in einem natürlich ebenfalls digitalen Gespräch vor der Chorprobe. Schon an Kilians Sprechstimme merkt man, dass er an dieser seit mehreren Jahren regelmäßig arbeitet. Sie ist ruhig, tief und er macht bewusste Pausen zwischen den Worten. Aber zurück zum Problem des digitalen Singens: Durch das Muten der Mikrofone vermeidet der Chor, ein auch im Homeoffice-Alltag nur zu gut bekanntes Problem: Latenz. „Unsere Stimmen würden sich nicht gleichzeitig treffen und auch der Ton wird schlecht übertragen.“ erklärt Kat. Deshalb heißt es für den ca. 12 köpfigen-Chor Mikrofon „aus“ und für Kat eine gesamte Chorprobe, Non-stop „an“. Was sie trotz fehlenden Feedbacks und fortwährender Stille, mit ihrer sympathischen und motivierenden Art – anders kann man es nicht sagen: rockt! „Onlineproben sind zwar eine tolle Möglichkeit, den Corona-Alltag zu verschönern, aber es ersetzt natürlich keine Chorprobe.“, sagt die Lehramtsstudentin für Musik.

Stimmaufwärmung, digital

Am normalsten bei dieser ungewöhnlichen Chorprobe läuft das Aufwärmen ab. Es ist 20 Uhr, Donnerstagabend: Ab jetzt schalten sich die Teilnehmer*innen im Minuten-Takt der nun beginnenden Chorprobe zu. Die meisten haben die Kamera an, manche nicht – jeder macht das, wie er sich wohl fühlt. Eine Gemeinsamkeit: Jeder wird von Kat, die sich in einem Monolog über Verbesserungsvorschläge, Übungsanweisungen und Motivationshymnen befindet, einzeln und herzlich begrüßt. Dann bei der Nasenübung, die Kat „besonders cool findet, weil sie einfach so schön öffnet und die Stimme stärkt“ ist der Großteil der Chorist*innen im digitalen Raum angekommen. Jeder hält sich die Nase zu, sodass keine Luft entweichen kann und sich die Stimme, wenn man nun spricht, in die einer 60er Jahre Zeichentrickfigur verwandelt. Natürlich muss man das auch unterstützen und im nasalen Bereich sprechen. Zurück in der regulären Tonlage, ist die Stimme tatsächlich viel kräftiger – wäre vielleicht auch mal was fürs Homeoffice.

Vom Singen im Freien und der Gründung eines Kammerchors

Als Kat und Kilian gemeinsam mit Freunden im April 2020 den Chor gründeten, hätten sie niemals geträumt, dass sie ihre Präsenzproben an beiden Händen abzählen können. Kennengerlernt hat sich die Freundesgruppe ebenfalls beim Singen: im Philharmonischen Chor der Humboldt Universität Berlin. „Der Philharmonische Chor besteht aus über 150 Leuten und die Proben werden immer von einem Orchester begleitet. Das ist sehr schön und macht sehr viel Spaß, aber es macht eben auch Spaß nur in einem kleinen Chor zu singen ohne Begleitung. So kann man seine eigene Stimme nochmal richtig herauszuhören“, sagt Kilian, der im Master Sozialwissenschaften studiert. Die daraus entstandene kleine Runde besteht nun aus Sänger*innen zwischen 20 und 32 Jahren, die wissen, wie man improvisiert: Als im Sommer etwa die Kontaktbeschränkungen gelockert wurden, probte der bis heute namenlose Chor einfach draußen. Aber natürlich nicht irgendwo. Die Akustik musste stimmen. Das führte den – nennen wir ihn einfach: Chor- ohne Namen – an die ungewöhnlichsten Orte. Der Favorit der beiden: Eine Be- und Endladefläche für LKWs im Berliner Stadtteil Schöneberg. Dort auf einer überdachten Empore probte der Kammerchor Schumann, Mendelsohn oder Bennet, ohne das der Schall, wie sonst im Freien, zu schnell verflog. Denn in einem üblichen Probenraum unterstützt die Akustik des Raumes die Chorist*innen beim aufeinander hören, indem er die Töne lange genug klingen lässt. Dort, auf der Empore zwischen Lkws und Noten, übernahm die Überdachung diese Funktion.

Auf diese Zeit und dieses Zusammensein, egal ob drinnen oder draußen, freut sich der Chor natürlich sehr. Doch solange das nicht möglich ist, proben die Chorist*innen weiter fleißig über Zoom. Denn gerade hier kann man singen, wie man sich sonst nicht traut, sich selbst und die eigene Körperhaltung überprüfen und ein bisschen mehr miteinander fühlen. Oder, wie es Kilian sagt: „Es ist ein schöner erfüllender Abschluss des Tages, der ein bisschen darauf verweist und hoffen lässt, was sein könnte, wenn man wieder zusammen singen kann.“


 

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