Im Slum von San Isidro
Sich ehrenamtlich engagieren: Du kennst jemanden, der dieser edlen Arbeit nachgeht oder spendest selbst deine Zeit? Was ist schon dabei? Sehr viel finden wir, deshalb widmen wir diesen Text den namenlosen Helfern, die tĂ€glich Gutes tun. Wobei einer von ihnen nicht namenlos bleibt: Felix heiĂt er, ist 24 Jahre alt und um ihn, seine ehrenamtliche Arbeit in und fĂŒr den Slum San Isidro in Peru geht dieser Text.
Von Deutschland nach San Isidro
âNach dem Abitur erstmal ins Auslandâ, das ist ein Wunsch, der einige Abiturient*innen nach dem Schulabschluss in die Welt treibt. Felix, 24, bildete, als er 2015 seinen Abschluss machte, keine Ausnahme. âJetzt weg!â, dachte er damals wahrscheinlich und nicht: Acht Monate Freiwilligenarbeit in einem Slum in Peru, seit 2017 Mitarbeit in einem ehrenamtlichen Verein und bald darauf Vorstandsmitglied in Selbigem zu sein. Durch diese Positionen folgten montĂ€gliche, ehrenamtliche Arbeitstage vor dem PC und eine Leidenschaft fĂŒr KleidungsstĂŒcke aus Alpakawolle und Theater – dazu spĂ€ter mehr.
Nun hĂ€lt er stolz sein knallgelbes T-Shirt in die Webcam mit dem Schriftzug âIntiwawaâ. Damals sei er durch Zufall auf die NGO gestoĂen, die in Peru aktiv ist. âMich interessierte SĂŒdamerika, ich konnte Spanisch und hatte ein Interesse an der Kulturâ, sagt er auf eine Art, dass man sich das noch fehlende âWarum nichtâ, das er damals wohl dachte, trotz der ruckeligen Verbindung der Webcam denken kann. Warum also nicht einfach mal nach Peru? Dieser pragmatischen Art folgend, landete er damals noch planlos, wie seine Zukunft aussehen sollte, in Lima. Doch das sollte sich bald Ă€ndern.Â
ZunĂ€chst ging es weiter in den SĂŒden in die Region Mollebaya etwa eine Stunde auĂerhalb des Zentrums von Arequipa. Hier liegt der Slum âSan Isidroâ. âWenn man dort hinfĂ€hrtâ, erzĂ€hlt Felix, âist da erstmal eine riesige WĂŒste und ein riesiger Graben mit PlastikmĂŒll und Hunde-Kadavern.â Wenn sich dann Haus an Haus reiht, trifft man irgendwann auf das Casa Intiwawa. Das ist das Basiscamp, von dem aus Felix und seine Kolleg*innen Kinder im Alter von 6 bis 16 Jahren, an den Nachmittag betreuten, unterstĂŒtzen und unterhielten.
Denn die NGO fĂŒr die Felix damals und heute arbeitet hat sich das Ziel gesetzt, die Armut im Slum von San Isidro durch Bildungsprojekte primĂ€r fĂŒr Kinder, aber auch Erwachsene zu vermindern. Dabei bildet den gröĂte Teil die Nachmittagsbetreuung durch Hausaufgabenbetreuung, Weiterbildung, aber auch Versorgung mit gesunden und ausgewogenen Mahlzeiten und Kreativworkshops.
101 Projekte – oder so Ă€hnlich
Als Felix beginnt die verschiedenen Projekte aufzuzĂ€hlen und zu erlĂ€utern, bekommt man den Eindruck als wĂŒrde ihm jede Erinnerung in Gedanken ein StĂŒck mehr nach Peru ziehen. So löst sich sein Blick von der Linse seines Laptops und wendet sich seinem Fenster zu, als er von dem Zahnputz-Schrank erzĂ€hlt, den sie damals verwendeten. In dem BehĂ€lter befanden sich ZahnbĂŒrsten fĂŒr jedes Kind. Denn im zuhause der Kleinen, wurde die Zahnhygiene oft vernachlĂ€ssigt. Als Reaktion darauf mussten die Kleinen als obligatorischen Tagespunkt ihre ZĂ€hne putzen. Erst dann schickten die Freiwilligen ihre SchĂŒtzlinge auf den Heimweg. Â
Je lĂ€nger der gebĂŒrtige âHamburgerâ in Erinnerungen schwelgt, desto hĂ€ufiger wechselt er ins Spanische. So spricht er wie selbstverstĂ€ndlich von den âRefoircamentosâ – spezialisierten Unterrichtseinheiten in denen sie den Kindern beispielsweise Kommunikationsgrundlagen beibrachten, den âreforcamientoâ den regelmĂ€Ăigen Treffen der VolontĂ€re vor Ort oder den Aktionen zu Ehren der hora del Planeta – der Stunde der Erde.
Vom Ehrenamt in San Isidro zum Theater
An diesem besonderen Tag erlosch, wie rund um den Globus, auch im Slum das elektrische Licht fĂŒr eine Stunde. Und auch, wenn Nachhaltigkeit und die Umwelt, wie Felix erzĂ€hlt, fĂŒr die Menschen dort eher zweitrangige Probleme seien, war es dem 24-JĂ€hrigen ein Anliegen vor allem den Kindern ein derart wichtiges Thema nĂ€her zu bringen.Â
Aber wie verschafft man sich als Nicht-Einheimischer Gehör? FĂŒr Felix war und ist das Theater der Zugang. Denn mit diesem Medium könne man die Menschen erreichen und sie gleichzeitig unterhalten und erfreuen, sagt er. Eben das entdeckte er in seiner Zeit in Peru und eben das begleitet ihn bis heute, neben der ehrenamtlichen Arbeit fĂŒr die NGO als Studienfach und spĂ€teren Berufswunsch.Â
Angefangen hĂ€tte er mit einem Krippenspiel zu Weihnachten. Ganz klassisch. Mit selbstgebastelten KostĂŒmen aus Stoffen, die es in der âCasa Intiwawaâ gab. Da die Bewohner*innen des Slums auch ĂŒberwiegend katholisch sind, kam das StĂŒck auch sehr gut an, vermutet er, denn âEs wurde wirklich sehr viel gelĂ€chelt.âÂ
Allerdings war zu Beginn das Interesse der Kinder bei einem StĂŒck selbst auf der BĂŒhne zu stehen durchwachsen. âIch glaube das liegt daran, dass Theater dort einfach nicht so prĂ€sent ist.â Und vielleicht liegt es auch einfach daran, das die Kinder und Familien anderes im Kopf haben? âNeinâ, sagt Felix. Denn Theater sei genau der Ausgleich, etwas das SpaĂ macht und das einen gerade in diesem Alter enorm weiterbringt. Denn Theater ist sein Zugang. Sein Mittel. Seine Leidenschaft. Und so fĂŒhrte Felix, in diesem Fall ohne Kinder auf der BĂŒhne, stattdessen fĂŒr sie, ein selbstgeschriebenes StĂŒck am Tag der Erde auf. âMit dem TheaterstĂŒck fand ich es wichtig den Kindern zu zeigen, dass man trotzdem auf seine Umwelt acht geben muss.â Insgesamt realisierte er wĂ€hrend seiner Aufenthalte in Peru – ein Zweiter folgte im Sommer 2018 – mit und fĂŒr die Kinder fĂŒnf TheaterstĂŒcke.Â
Diese Erfahrungen prĂ€gten den jungen Mann und beeinflussen ihn bis heute. Aus âerstmal irgendwo hinâ wurde eine Vorstellung, wie sein Leben aussehen soll und eine Bereitschaft sowohl etwas zurĂŒckzugeben, als auch Verantwortung zu ĂŒbernehmen. Denn auf die Frage, ob er die montĂ€gliche Arbeit vor dem PC nicht irgendwann ĂŒber habe, antwortet er ehrlich: âIrgendwann bestimmt schon, aber ich könnte erst aufhören, wenn die Stelle mit einer geeigneten Person besetzt wĂ€re.â
Tipp der Redaktion:
Am 06. Juni 2021 fĂŒhrt Felix sein TheaterstĂŒck digital auf. Mehr Infos dazu findest du hier.