„She Said“, mehr als eine Buchhandlung
Wie soll man das, was Emilia plant in eine vierzeilige Einleitung packen? Wir sind kläglich gescheitert. Deshalb schmeißen wir einfach mit Eindrücken um uns: Junge Gründerin – She Said – nur Autorinnen und queere Autor*innen – Instagram – Ort zum verweilen – und, neugierig?
Immer dieser erste Eindruck
Auf den ersten Blick könnte man Emilia, 32, mit ihren kurzgeschorenen, blondierten Haaren, dem bunt gestreiften Oberteil und dem Jeansrock jünger oder sogar unterschätzen. Wenn sie dann aber an ihrem Cocoswasser nippt, die an sie gestellte Frage auf sich wirken lässt, um erst dann zu antworten, erkennt man, dass das Gegenteil der Fall ist: Emilia birgt in sich die Energie und Reife, die in gut zwei Leben passt. Vielleicht waren es diese Eigenschaften, die sie zur Gründung ihrer Buchhandlung “She said” brachten, die im Herbst eröffnet. Das Besondere? Im Sortiment des Ladens findet man ausschließlich Bücher von Autorinnen und queeren Autor*innen.
“Bei She said werden Autorinnen und queere Autor*innen hervorgehoben. Im Gegensatz zum Rest der Gesellschaft bekommen sie bei uns den ganzen Raum.”
Warum eine Frauenbuchhandlung?
Bevor wir jetzt weiter über Emilias beeindruckende Lebensgeschichte berichten, von den Ideen die “She said” so einmalig und gleichzeitig einladend machen, beantworten wir gleich die Frage, die einigen jetzt auf den Lippen brennt. Warum wird es in der Buchhandlung keine männlichen Autoren geben – das hat doch mit dem Inhalt nichts zu tun? Übermütig könnte man dem Fragenden entgegenhalten, dass Arbeitsleistung auch nichts mit dem Geschlecht zu tun hat und dennoch gibt es ein Ungleichgewicht in den Gehaltssummen. Nun ja, Emilia ist aber nicht übermütig und beantwortet diese Frage daher durchdachter. Qualität sei etwas Subjektives und keine absolute Größe. Sie sei immer auch abhängig von Machtstrukturen in der Gesellschaft, sagt die Gründerin und das leuchtet durchaus ein. Denn sucht man bei dem Online-Versandhändler Amazon nach den 100 meistverkauften Büchern, stammen knapp 60 Prozent von Männern. Und auch eine Studie der online-Plattform #frauenzählen aus dem Jahr 2018 ergab, dass Kritiker*innen öfter männliche Autoren rezitieren und diesen dadurch mehr Raum geben. Eben darum will Emilia nicht nur eine Buchhandlung im klassischen Sinne eröffnen, sondern noch mehr: “Bei She said werden Autorinnen und queere Autor*innen hervorgehoben. Im Gegensatz zum Rest der Gesellschaft bekommen sie bei uns den ganzen Raum.” Das Ziel ist eine Oase, in der sich jede und jeder willkommen fühlt, gerne verweilt und sich austauscht. Das ist heute Emilias Ziel, ihr Traum.
Von “She did” zu “She said”
Blicken wir einige Jahre zurück, sah das Ganze noch anders aus. Emilia hatte sich dem perfekten Lebenslauf mit dem Ziel des perfekten Jobs verschrieben. Sie wollte die Welt verändern, sich für Chancengerechtigkeit einsetzen. Deshalb arbeitete sie nach einem Politikwissenschaft-Studium und zahlreichen Praktika schließlich im Bildungsbereich mit Kindern. Drei Jahre blieb sie in dieser Position, organisierte Workshops, Veranstaltungen – tat das, was gerade anlag. Ein sinnvoller Job, ein Job in dem man wirklich etwas bewirkt, ein Job der sich richtig anfühlt und es dennoch für Emilia nicht war. Vielleicht ist es gerade bei einem solchen Job schwierig, die Notbremse zu ziehen. Für die Gründerin war es das zumindest. Und so tat es am Ende nicht sie, sondern ihr Körper. Das war Ende 2017. Die junge Frau betont deutlich, dass es ein sehr erfüllender und wichtiger Job gewesen sei. Fünf Monate war sie durch eine Krankheit ausgebremst und ans Bett gefesselt. Bis dato hatte sie eine klare Vorstellung, wo ihr Leben hin soll, was ihre Ziele sind. Aber was, wenn das nur die halbe Wahrheit war? Emilia beschäftigte sich von da an vielleicht das erste Mal in ihrem Leben mit sich selbst, ohne irgendeinen Hintergedanken. So landete sie letztlich in der Bookstagram-Szene, einer Gemeinschaft auf Instagram, die sich durch ihre Leidenschaft für das geschriebene Wort verbindet. Parallel dazu nahm sie eine Stelle als Buchhändlerin in einem kleinen Buchladen an.
She Said: Ein Buchladen – ein Buchprojekt
Diese beiden Punkte verbindet Emilia heute in der “She said”-Buchhandlung. Denn an der Realisierung des Projekts in den Räumlichkeiten am Kottbusserdamm 79 in Neukölln (Berlin) sind neben ihrem ständig wachsenden Team aus Buchhändler*innen, Grafikdesigner*innen und Architekt*innen (zum Zeitpunkt des Interviews sind es sechs Teammitglieder) auch ihre über 10.800 Instagram Follower*innen beteiligt. So stimmen diese darüber ab, nach welchem System die Werke sortiert sein sollen. Alphabetisch oder nach Themen? Die Themen-Sortierung gewann hier am Ende. Auch vakante Stellen wurden über Instagram beworben und führten dazu, dass sich Emilia und ihr Team letztlich über 106 Bewerbungen zum Aufruf für eine Buchhändler*in bekamen. Aber nicht nur online passiert einiges damit im Dezember die ersten Besucher*innen durch die Eingangstür schreiten können, sich willkommen fühlen und verweilen möchten. So wird es neben dem Literaturangebot eine Cafe-Bar geben und die Veranstaltungsreihe “She Said” Tuesdays, das beinhaltet Tuesday, jeden Dienstagabend, eine kostenlose Kleingruppen-Veranstaltung, wie Diskussionsrunde oder einen Buchclub, Podcast oder Yoga. Daneben spielt auch die Konzeption des Raums eine wichtige Rolle, mit dem Ziel, einen Ort zum Verweilen zu erschaffen. So berichtet Emilia von einem Telefonat mit einer Bekannten, die im Rollstuhl sitzt. Die machte sie darauf aufmerksam, auf was für Probleme sie in Buchhandlungen treffe. Das beginne bei kaum Platz neben der Türklinke, wenig Platz in den Gängen bis hin zu unzugänglichen Kassentresen. So wird es bei She said einen Tresen geben, der auf dr Rückseite offen ist, sodass Rollstuhlfahrer*innen den PC von der Rückseite sehen können. Schier endlos sind die Impulse und Gedankengänge, die in die Konzeption der Projekt- Buch-Utopie flossen und fließen. “Wir können nicht alles realisieren.”, sagt Emilia während sie auf die Tischplatte vor sich starrt und erneut ein paar Sekunden innehält. Ihre Augenlieder kneift sie zusammen, als sie sich weitere Aspekten in Erinnerung ruft, die sie mit ihrem Team bei der Konzeption berücksichtigt. Schnell wird klar, das die Aussage “Jede*r solle sich Willkommen fühlen”, nicht nur dahergesagt ist, um in der nächsten Sekunde zu verpuffen. Emilia meint, was sie sagt, und tut alles dafür, dass es zur Wirklichkeit wird. Dann schiebt sie noch hinterher, dass das Team natürlich nicht alles realisieren könne, aber wenn man den Aufzählungen so lauscht, sind sie schon ziemlich nah dran.
Emilia’s Buchtipps aus dem Herbstprogramm
- Deniz Ohde – Streulicht
- Ronya Othmann – Die Sommer
- Linus Giese – Ich bin Linus
- Mely Kiyak – Frausein
- Samantha Schweblin – Kentucki
- Annie Ernaux – Die Scham
- Anne Weber – Anne, ein Heldinnenepos
- Mieko Kawakami – Brüste und Eier
- Cemile Sahin – Alle Hunde sterben