Tiny-Houseboat: Leben auf der Spandauer Havel
Wie lebt es sich in einem Tiny-House auf dem Wasser? Wir haben Merle und Felix besucht. Die beiden renovieren, arbeiten und leben seit über einem Jahr auf der „Poffertje“, ihrem Tiny-Houseboat. Wir haben sie in ihrem schwimmenden Zuhause besucht und erfahren, wie sie den Absprung aufs Wasser schafften und warum man die Angst unterzugehen, nie loswird.
Eine Doppeltür im Berliner Außenbezirk Spandau. Passiert man die massive Holztür, durchquert die Eingangshalle und ein angrenzendes Treppenhaus, gelangt man in eine Werkstatt. Hier reihen sich Hammer an Schrauben, Bohrer an Metallplatten oder Holzbretter. Ein älterer Mann, den Merle, 31, eine große Frau in Jeans, T-Shirt und Schlappen, freundlich als „ein Nachbar“ vorstellt, beugt sich über eine Werkbank. Moment -Nachbar? In dieser Hütte? Es bleibt spannend.
Am Nachbarn vorbei geht es durch eine letzte Tür und raus auf den Steg. Da liegt das Tiny-Houseboat vor Anker, auf dem Merle und ihr Freund Felix, 34, wohnen: Drei Meter breit, dreizehn Meter lang, ziegelsteinrot und benannt nach einem holländischen Dessert. „Poffertje, weil wir es aus den Niederlanden haben.“, erklärt Merle, die bei Namensgebungen offensichtlich eine Vorliebe für Süßes hat. Ihr neues Beiboot etwa heißt Brause-Ufo.
Ein Wunder der Raumnutzung
Die Idee, dass die beiden von der Wohnung aufs Boot umziehen, kam aus einer Laune heraus. Merle war der treibende Faktor und als sie dann die Zusage für einen bezahlbaren Liegeplatz in Berlin bekamen, gab es kein „Warum-nicht“ mehr. Das erklärt das Paar, als wäre es eine alltägliche Entscheidung, wie Kaffee mit oder ohne Milch. Mal eben die meisten Habseligkeiten im Keller der Eltern verstauen und nur mit dem Notwendigsten auf das Boot ziehen – das taten die beiden Anfang 2020.
Routiniert schwingt sich das Paar jetzt auf dieses Boot. Sie klettern den etwa fünfzehn Zentimeter breiten Weg entlang, der Bug und Heck verbindet. An dessen Ende befindet sich die Fahrerkabine und gleichzeitig der Eingang zum Inneren des Schiffs. In den vergangenen Monaten bauten die sie dieses zu ihrem Zuhause aus. Sie rissen alles aus der Poffertje heraus, bis man die nackten Innenseiten der Schiffswände sehen konnte – dazu später mehr.
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Heute befindet sich dort ein Wunder der Raumnutzung. Geht man durch die Fahrerkabine, gelangt man in den Mittelteil des Schiffes, der den Wohnraum bildet. Er besteht aus Kücheneck, massivem Ofen in der Mitte des Raumes und einer Sitzecke. Hinter der Eckcouch, im Heck des Schiffes, ist das offene Schlafzimmer eingelassen. Im Gegensatz zu Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer ist die Toilette der einzige Ort an Bord, der sich in einem separaten Raum befindet – mit Tür!
Auch hier ist die Raumaufteilung höchst funktionell. Der Kasten rund um den Motor des angrenzenden Steuerrads ragt ca. zehn Zentimeter in das etwa fünf Quadratmeter große Bad hinein. Diesen Vorsprung nutzten die beiden und bauten darauf ein Waschbecken und eine Ablage. Daneben ist das Klo angebracht und darüber auf Kopfhöhe die Dusche.
Im Heck der Poffertje und auf der anderen Seite der Bad-Wand befindet sich eben genanntes Steuerrad und eine zweite Sitzgelegenheit. Je nach Bedarf kann man diese umfunktionieren zur Übernachtungsecke oder durch einen Klapptisch zum Home-Office.
Jeder Zentimeter auf dem Boot ist effizient genutzt und erfüllt oft eine Doppelfunktion. So befindet sich unter der Sitzecke im Heck Stauraum für Klamotten. Der Hohlraum der Couch im Bug ist der Rückzugsort der beiden Schiffskatzen, die durch ein handbreites Loch in das Innere der Couch gelangen.
Und die Fahrt beginnt
Genauso aufregend wie das Innere der Poffertje, über die Merle ihre über zweitausend Instagram-Follower regelmäßig updatet (@tinyhouse.boat), ist das Ablegen. „Die Angst, dass man doch mal versinkt, wird man nicht los.“, sagt Merle als das Boot bereits vom Steg ablegt. Davor jedoch flitzten die Beiden routiniert, aber immer noch angespannt über das Boot, jeder Handgriff etliche Male geübt. Da wurden Seile gelockert, das Beiboot festgezurrt, der Auslauf kontrolliert, damit das Wasser nicht fälschlicherweise in den Schiffsbauch, sondern wirklich in die Havel fließt.
„Die Angst, dass man doch mal versinkt, wird man nicht los.“
Aktuell stellt Felix auch noch die Batterie manuell um – vom Stromverteiler am Liegeplatz auf die Autobatterie im Schiff. „Der Traum ist es, dass der Strom irgendwann einfach umswitcht.“, erklärt er. Ein erreichbares Ziel für Felix, denn er macht seit einem Dreiviertel-Jahr eine Ausbildung zum Mechatroniker. Der Auslöser für diesen Berufswechsel sei auch die Arbeit an ihrem Tiny-Houseboat gewesen, erzählt er.
Tiny-Houseboat oder auch „Work. Work. Work“
Seit Beginn des ersten Lockdowns wohnt das Paar auf der Poffertje – der Gedanke damals: Wo kann man besser in Quarantäne gehen, als auf einem Boot? Die neu gewonnene Zeit nutzen sie aber nicht zum Bananenbrot backen. Mit ergoogeltem Wissen, Hilfe von Freunden und Nachbarn – etwa dem aus der Werkstatt – bauten Merle und Felix das Schiff aus. „Wir haben das ja alles noch nie gemacht.“, sagt Merle fast schüchtern und nimmt einen Schluck aus ihrem Radler, während sie auf dem Deck sitzt.
Die ausgebildete Industrie-Designerin, die gerade ihren Master in Zukunftsforschung begonnen hat, ist allerdings nicht fachfremd. Die Grundidee war, dass sie alles am PC mit einem Designprogramm vorbaut, was die beiden dann wiederum umsetzen. Soweit der Plan. Die Realität sah dann anders aus. Eine Aufgabe, die laut Plan in zwei Stunden fertig sein sollte, dauerte in der Realität mehrere Tage.
„Dann haben wir irgendwann aufgehört, Pläne zu machen – ich weiß auch nicht, ob das der beste Plan war.“
„Dann haben wir irgendwann aufgehört, Pläne zu machen – ich weiß auch nicht, ob das der beste Plan war.“, sagt Merle, die während der Fahrt immer wieder von ihrem Platz auf der Reeling aufspringt und Seile kontrolliert, Abstände zu anderen Schiffen einschätzt oder die Schiffskatzen einsammelt. Felix dagegen steht im Fahrerdeck, das extra wegen seiner Körpergröße über zwei Meter hoch ist. Das war der ausschlaggebende Faktor, dass sich das Paar am Ende für das in weiten Teilen fast 100 Jahre alte Boot entschieden hat. An der Stelle, wo vielleicht einmal Öllaternen standen, reihen sich nun Erdbeerpflanzen und Minze aneinander.
Die Pflanzen wiegen sich im Fahrtwind als die Poffertje ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht: Das sind 8 km/h – außer bei Rückenwind, da liegt der Rekord bei 11 km/h. Von Spandau nach Berlin Mitte, was eine Luftlinie von ca. 16 Kilometern ausmacht, bräuchte das Boot über die Fluss-Route bei einer gemütlichen Fahrt ungefähr zwei Tage. Was aber in jedem Fall eintreten würde, egal ob nach Berlin Mitte oder dort auf der Havel: Die neugierigen Blicke der Passanten, die vom Ufer herüber winken – das sind die beiden mittlerweile gewöhnt.
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